YOU´LL NEVER WALK ALONE
AUF DEN SPUREN EINES FUSSBALLSONGS IN LIVERPOOL
MIT MEINEM FREUND SEPP
„Diese Hymne, das ist ein Signal, und es ist leicht zu verstehen, und sie vereint die Leute in diesem Moment“, erklärt Jürgen Klopp, wenn er von der großen Hymne des Liverpool FC an der Anfield Road spricht.
„When you walk through a storm, hold your head up high and don´t be afraid of the dark. At the end of the storm, there´s a golden sky …. And You´ll Never Walk Alone.“
Das sind 2 Minuten und 38 Sekunden pure Magie! Obwohl diese Ballade gar nichts mit Fußball zu tun hat. Sie ist ein Symbol für eine starke Verbindung zwischen Liverpools Einwohnern und ihrem Fußballclub. Es geht um mehr als ein Fußballspiel, es ist mehr als einfach nur leidenschaftliche Fankultur, es geht um eine kulturelle Identität. Warum ist das so? Welche Einflüsse sind dafür verantwortlich? Wir wollten es herausfinden und begaben uns auf Spurensuche in Liverpool. Mein Freund Sepp und ich.
Wir saßen im Flieger nach Manchester, auf dem Weg nach Liverpool. Mit uns eingestiegen Andy Knoll, der „Mr. Song Contest Österreichs“. Er erinnerte uns daran, dass in 10 Tagen ja auch der ESC in Liverpool ausgetragen wird. Das passt gut, die Stadt hat ja ein großes musikalisches Erbe, seit den Beatles.
In Liverpool angekommen begannen wir unsere Entdeckungstour mit einem Bummel durch die Fußgängerzone im Stadtzentrum, das einer einzigen und riesigen Shopping Landschaft gleicht, gingen dann weiter ins Cavern Quarter. Aus den Pubs in den engen Gassen dröhnte schon am Nachmittag überall Live-Musik. Wir ahnten, am Abend würde das zu einer einzigen Party-Meile werden. Wir bogen in die Mathiew Street ein, vorbei am Beatles Museum des fünften Beatles Pete Best, und standen vor dem berühmten Cavern Club, in dem die Beatles fast 300 mal auftraten, und auch viele andere Musikstars. Eigentlich wurde der Club vor einiger Zeit um 100 Meter versetzt und originalgetreu wieder aufgebaut. Trotzdem beobachteten wir eine Menschenschlange an Touristen vor dem Eingang. Vorbei an der Wall of Fame, die alle Nummer 1-Hits aus Liverpool verewigt, und am Hard Days Night Hotel gelangten wir über die Castle Street zur Townhall von Liverpool. „Hier auf diesem Balkon stehen unsere Jungs, wenn sie wieder einen Titel holen“, erklärte Sarah, die uns die Stadt zeigte. Auch sie ist eng verbunden mit dem FC Liverpool. Das Rathaus der Stadt ist ein architektonisches Juwel aus gregorianischer Zeit. Ein interessantes Detail stellen die im Gitterzaun dekorativ verarbeiteten vergoldeten Ananas-Skulpturen dar, die an das reiche Zeitalter Liverpools als Handels- und Hafenstadt im 19. Jahrhundert erinnern.
Wir folgten der Water Street hinunter in Richtung Mersey Ufer. Sie ist gesäumt von historischen Hochhäusern, die an New York oder Chicago erinnern, früher, in der Blütezeit Liverpools, gehörten sie Banken und Versicherungen. Dazwischen liegt heute der offizielle Schneider des Liverpool Footballclubs, der im Schaufenster stolz das Vereinswappen platziert, die höchste Auszeichnung in dieser Stadt, sie bedeutet mehr als jeder königliche Ritterschlag.
Vor mehr als 150 Jahren war Liverpool der wichtigste Umschlagplatz für die Textilfabriken in Leeds und Manchester. 40 Prozent des Welthandels wurden in Liverpools Hafen abgewickelt.
Schnell avancierte Liverpool auch zum wichtigsten Passagierhafen. Liverpool wurde das Tor zur neuen Welt.
In den Albert Docks und am Pier Head an der Mersey entstanden Prachtbauten, die heute zum Weltkulturerbe gehören und in Liverpool als die „3 Grazien“ bekannt sind. Der Reihe nach entstanden das Port of Liverpool Building, das Royal Liver Building und das Cunard Building, das noch an die großen Schifffahrtsgesellschaften der damaligen Zeit erinnert.
Es tobte ein Konkurrenzkampf, wer die besten Passagierdampfer baut. Insbesondere zwischen der Cunard Line und der White Star Line, die mit ihrer weltberühmten Titanic 1912 unterging. Mit ihr sind auch 244 Matrosen aus Liverpool untergegangen, die auf Befehl bis zuletzt im Maschinenraum aushalten mussten, um auch im sinkenden Schiff noch für Strom zu sorgen. Ein Denkmal an der Uferpromenade am Pier Head, an der Uferpromenade des Mersey erinnert daran.
Tausende Hilfsarbeiter, die meisten aus Irland, kamen damals nach Liverpool, um in den Docks zu arbeiten. Fachausbildung brauchten sie keine, nur billig mussten sie sein, was später der Stadt zum Verhängnis wurde.
Mit dem Zerfall der Textilbranche, dem Ende der Kolonien und dem Beginn der Container-Schifffahrt erlitt Liverpool nach dem Zweiten Weltkrieg einen ungeheuren Niedergang. Um 1930 hatte die Stadt noch 850 000 Einwohner, heute nur mehr halb so viel. In der Ära von Margret Thatcher verschärfte sich die Lage, als die eiserne Lady den Gewerkschaften den Kampf ansagte und Liverpool in eine unbeschreibliche Armut trieb. Fast die Hälfte aller Haushalte war auf kommunale Sozialprogramme angewiesen. Dann, Ende der 70er kollabierte die Wirtschaft endgültig, Liverpool zählte zu den ärmsten Städten Europas, war nahezu bankrott.
Doch dann kam die Wende. Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurde die Kultur als neuer Wirtschaftszweig entdeckt. Museen, Kulturzentren entstanden, in den restaurierten Albert Docks und an der Uferpromenade des Mersey, und überall in der Stadt. Heute weist Liverpool die höchste Museumsdichte nach London auf. Touristen brachten den neuen Aufschwung. Liverpool besann sich seines großen musikalischen Erbes, seit den Beatles in den 60er Jahren ist es als lebendige Musikstadt bekannt.
Die Bronzestatue der Beatles steht bezeichnenderweise am Pier Head und erinnert an den Wiederaufschwung. Viele ihrer Songs haben mit Liverpool zu tun. So wie ihr Welthit Penny Lane, in dem sie ihren Weg zur Schule besingen. Oder Strawberry Fields und Eleanor Rigby. Wir besuchten alle diese Orte, die Songs hörten sich danach viel vertrauter an.
Mit ihrer Musik haben die Pilzköpfe auch die Fankultur des FC Liverpool maßgeblich beeinflusst. Viele Fangesänge basieren auf den Melodien bekannter Songs. Mit der Popularität der Beatles kam das Selbstbewusstsein der Liverpooler zurück. In den englischen Stadien wurden in den 60ern die aktuellen Hits gespielt, um die Fans in Stimmung zu bringen. Und einer dieser Songs eroberte von Liverpool aus die Fußballwelt. „You´ll never walk alone“. Ursprünglich ein Musical Song, der nichts mit Fußball zu tun hatte, wurde es in der Cover-Version von Gerry and the Pacemakers, einer Band, die in den Anfängen den Beatles in Liverpool ziemliche Konkurrenz machte, im Jahre 1963 zum Hit. Nach einigen Wochen verschwand es aus der Hitparade, aber nicht mehr aus den Köpfen und Herzen der Liverpooler Fans, sie sangen weiter ihren Song. Und als eines Tages dann noch im Stadion die Lautsprecheranlage ausfiel und die Liverpooler Fankurve „The Kop“ einfach selbst das Lied anstimmte, war die Vereinshymne geboren. Vor jedem Heimspiel des FC Liverpool wird sie nun leidenschaftlich gesungen, verschmelzen an der Anfield Road zwei Rituale, die jeder versteht. Musik und Fußball.
Doch „You´ll never walk alone“ wurde darüber hinaus auch das Synonym für die damals verarmte Hafenstadt und verband damit die Liverpooler mit ihrem Fußballclub. Dafür sorgte auch Bill Shankly, eingefleischter Sozialist und Erfolgstrainer der 70er Jahre. Für Shankly waren alle gleich, die Anhänger so wichtig wie die Spieler, Mannschaft wichtiger als der Einzelne, das Spielen mit Herz seine Philosophie. Für ihn war Fußball nicht nur eine sportliche, sondern eine kultur-politische Angelegenheit. „Ich habe den Menschen in Liverpool Ihre Fußballmannschaft gegeben, aber Du hast Ihnen Ihren Song gegeben“, soll Shankly einmal zu Gerry Marsden gesagt haben.
Nach der größten Katastrophe der Fußballgeschichte in Hillsborough 1989, in der 96 Liverpooler Fans ums Leben kamen, wurde der Schriftzug ins Vereinswappen aufgenommen, um immer an die Opfer dieser Tragödie zu erinnern.
„You´ll never walk alone“ ist eben viel mehr als nur ein Song. Es ist eine Lebenseinstellung, bedeutet Hoffnung, mehr Wir-Gefühl geht nicht.
Vor jedem Heimspiel brüllen sich die Liverpooler Fans die Seele aus dem Leib, wenn die Hymne ihres Clubs ertönt. Und natürlich wird das Spiel erst angepfiffen, wenn die Fans mit dem Lied fertig sind. Und genauso war es auch diesmal.
Wir kamen früh an der Anfield Road an, wollten nichts versäumen, erlebten noch eine Führung im Spielertunnel, gingen hinaus auf das Spielfeld zur Trainerbank und ins Museum, vorbei an der Bronzestatue von Bill Shankly. „Eines Tages wird auch Jürgen eine Statue bekommen“, meinte Sarah, unsere Begleiterin. „Klopp ist einer von uns, er ist der „normal one“, will kein Türschild, wenn Liverpool´s Chefkoch keines hat. Sie sind beide gleich wichtig, meint er“.
Wir konnten es kaum mehr erwarten, Platz zu nehmen auf den roten Stühlen im Stadion der „Reds“. Es ist das Match gegen die Tottenham Hotspurs. Es ging um viel in diesem Spiel, fünf Runden vor Schluss in der englischen Premier League. Die beiden Teams sind Rivalen um die Qualifikation für einen internationalen Bewerb, zumindest um die Euro League.
Die Teams waren auf dem Feld, wärmten auf. Die Fanblocks stimmten sich ein. Aus dem Lautsprecher dröhnte Musik. Dann die Aufstellung. Wieder Musik.
Bald waren sie nicht mehr zu sehen, die roten Stühle. Ausverkauft!
Einmarsch der Teams zur Premier League Fanfare. Brausender Applaus. Platzwahl, die Teams nahmen Aufstellung. Dann standen alle auf. Und sie wurde eingespielt. Schon nach wenigen Takten übernahm der größte Chor der Welt in der Fankurve „The Kop“, dann das ganze Stadion. Die Kraft und Intensität nahm unaufhaltsam zu.
„When they start singing `You´ll Never Walk Alone` my eyes start to water“, wird Kevin Keegan im Museum zitiert. Mir ging es genau so.
Das Spiel begann rasant. 1:0 für Liverpool in der dritten Minute, 2:0 durch Diaz in der fünften Minute. Elfmeter in der 15. Minute, den Mo Salah verwandelte. Die Fans stimmten ihren Song über ihn an. Der kleine englische Junge neben mir, er kannte jede Silbe dieses Songs, schmetterte ihn voller Inbrunst hinaus. Ja, sie lieben ihn, ihren ägyptischen Prinzen, mehr als ihren englischen König.
Es folgte „Oh when the Reds go marching in..“. Doch die Tottenham Fans gaben sich noch nicht geschlagen. „We are so sorry, you are so wrong, it is ours, not your song!“ antworteten sie im lauten Sprechgesang. Und setzten fort mit „Oh when the Spurs …“
Schön langsam fing sich Tottenham, erzielte plötzlich das 3:1. Natürlich war es wieder einmal ihre Ikone Harry Kane. Dann folgten gleich weitere Großchancen, noch ein Stangenschuss. Und alle im Stadion spürten. Es war noch nicht vorbei. Halbzeit! Die zweite Spielhälfte begann ausgeglichen. Wieder traf der Koreaner Son die Stange, und dann in der 77. Minute auch ins Tor, 3:2! Aus dem „Kop“ dröhnt ein langezogenes Liiiiverpool! Liiiiverpool! So emotional, dass es mir wie bei einer LaOla-Welle die Haare nach und nach zur Gänsehaut aufstellte! Zehn Minuten vor Schluss kam es zu einigen Spielerwechsel. Henderson, Nunez und Jota kamen bei Liverpool, alle standen auf, feierten die Ausgetauschten, empfingen die Neuen mit tosendem Applaus. Richarlison kam bei Tottenham, erstmals ertönte ein gellendes Pfeifkonzert, er spielte früher beim Stadtrivalen Everton. Und ausgerechnet der Brasilianer erzielte in der Nachspielzeit das 3:3! Jetzt flippten die Tottenham Fans hinter dem Tor von Allison vollkommen aus, Richarlison sprang auf die Tribüne, wurde abgefeiert. Dann noch eine Geste zu den „Reds“, leise zu sein. Doch diese Aktion rächte sich, nur einige Sekunden später. Diogo Jota markierte postwendend in der 94. Minute das 4:3 für Liverpool! Und Abpfiff! Spieler und Fans von Tottenham waren fassungslos. Aber das Stadion tobte! Wieder einmal ging ein unglaubliches Spektakel zu Ende. An der legendären Anfield Road!
Jürgen Klopp jubelte ausgelassen und verletzte sich dabei. Und er hat recht, wenn er meint:
„We all know damn well that this game is for dreamers“.
Excellent blog, you really understood what we are all about here in Liverpool.
And you’re welcome back anytime,denn; YNWA.
Ein toller sportlicher, musikalischer Reisebericht mit viel Information über Land und Leute aus Liverpool. Besonders schöne Bilder…….
Wir freuen uns auf deinen nächsten Reisebericht!
LG Bruno